Verletzungen

Die Verletzung von Alexander Zverev ist Anlass für dieses wichtige Kapitel. Er hatte einen auf den ersten Blick schlimmen Unfall - auf den zweiten Blick darf er hoffnungsvoll sein.

Schauen wir zunächst, was genau passierte: „Ich erinnere mich nur an drei Geräusche. Geräusche, die klingen, als wenn was zerbricht. Kurz hintereinander: knack, knack, knack, ganz schnell. Dann hatte ich auch schon extreme Schmerzen, das war der Wahnsinn. Als wenn mir jemand in den Fuß schießt“, sagte Zverev im Interview mit der Bild. (Quelle)

Der Sportmediziner/-arzt und Physiotherapeut Brian Sutterer hatte bereits einen Tag nach dem Unfall dazu einen Beitrag veröffentlicht:

 


Nachdem Zverevs erste Diagnose lautete, dass nichts gebrochen sei, aber mehrere laterale Bänder gerissen seien, bestätigt die zweite Diagnose einen dreifachen Bänderriss - so wie es Brian Sutterer erahnt hat (vier weitere Bänder hat Zverev sich verletzt, wie er auf einer Pressekonferenz am 11.08.2022 in Hamburg mitteilte). Unmittelbar nach Zverevs OP-Mitteilung auf seiner Instagram-Seite hat Sutterer ein zweites Video erstellt:

 


Hier ein Interview mit Brian Sutterer über seine Arbeit als Youtuber.

So ernst Zverevs Verletzung auch ist, so gibt es ähnlich traurige Ereignisse, die Hoffnung geben:

Boris Becker hatte 1984 einen Bänderriss und schrieb ein Jahr später Geschichte (obwohl er 1985 nach einem Sturz im Match gegen Tim Mayotte bereits aufgeben wollte, weil er sich an die schlimme Verletzung des Vorjahres erinnerte). Inzwischen wissen wir, dass seine durch hohen körperlichen Einsatz geprägte Spielweise große Folgeschäden an Fuß, Knie und Hüfte mit sich brachte.

Michael Stich erlitt am 20. Oktober 1995 in Wien einen Außenbandriss, einen Anriss des vorderen Bandes plus Kapselschaden im linken Sprunggelenk. Einige Monate später gewann er das erste Turnier nach seiner Verletzung und bei den French Open 1996 erreichte er das Finale gegen Jewgeni Kafelnikow.

Andrea Petkovic hatte viele Verletzungen in ihrer Tennis-Karriere und knickte im April 2012 beim Achtelfinale in Stuttgart ebenfalls mit einem Fuß um und erlitt einen doppelten Bänderriss. Am 20. August feierte sie ein Comeback, doch folgte am 29. Dezember beim Hopman Cup in Australien der nächste Schock, Meniskusriss.

Rafael Nadal hat eine wunderbare Karriere mit phantastischen Matches, doch schwebt bereits seit spätestens 2005 eine unheilbare Krankheit, das Müller-Weiss-Syndrom, als dunkle Wolke über ihm - es ist ein Wunder, dass er so lange so hohe Leistungen erbringen konnte. Zudem kostet seine körperlich anstrengende Spielweise mehr Energie und Kraft als die des elegant wirkenden Federer. Nadal hat laut Tennis Magazin die längste Verletzungshistorie.

Roger Federer wirkt nur für uns Zuschauer so leichtfüßig und problemlos - in Wirklichkeit beschäftigten ihn seit mehreren Jahren Meniskus und Knorpel seines rechten Knies. Er hoffte lange darauf, ein Comeback starten zu können, doch schließlich musste er sich vom professionellen Tennissport verabschieden.

Doch nicht nur beim eleganten Federer sind die Spätfolgen seines Sports zu beobachten; bei der Tennis-Königin Steffi Graf wie auch bei ihrem Mann Andre Agassi haben die Jahre ihres sportlichen Einsatzes leidvolle Spuren hinterlassen.

Die Liste könnte beliebig verlängert werden, soll hier aber enden.

Wesentliche Botschaften sind: Erstens können wir Freizeitspieler froh sein, Tennis nur aus Spaß an der Freud zu spielen und zweitens müssen wir trotzdem auf eine gute Beinarbeit achten, denn auch uns kann der Fuß bei einer unglücklichen Bewegung im Eifer des Ballwechsels umknicken. Wie das Video von Brian Sutterer zeigt, war es nur eine kleine Unachtsamkeit, die Zverev zum Verhängnis wurde:

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Auf diesem Foto sehen wir, dass Zverev mit dem rechten Vorderfuß auf dem Boden aufsetzt. Der Winkel, mit dem der Vorderfuß nach unten zeigt, ist aber zu groß.

Schauen wir uns die Momente vor dieser Situation an - Zverev holt in einer Seitwärtsbewegung zum Schlag aus:

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Es startet die Schwungphase und sein rechter Fuß ist während der Seitwärtsbewegung kurz vorm Abheben:


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Nun hat der rechte Fuß den Boden verlassen und hängt in der Luft:


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In den letzten drei Fotos/Zeitmomenten konnten wir sehen, dass sich Zverevs Bein-/Fuß-Stellung kaum verändert hat. Dafür hat sein Schlagarm ein Stück Schwungstrecke zurückgelegt; er ist kurz vorm Treffmoment des Balles. Nun folgt der Treffmoment und der Moment nach dem Treffmoment:


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Exakt in diesem Moment nach dem Treffmoment setzt der rechte Fuß auf dem Boden auf. Zverev hatte sich voll auf den Ball konzentriert und dabei die notwendige Körperspannung für den Fuß verloren. Mit der üblichen Körperspannung hätte der Fuß noch nicht zu diesem Zeitpunkt auf dem Boden aufgesetzt, sondern wäre noch weiter nach rechts geflogen, weil der Vorderfuß nicht soweit heruntergehangen hätte und das Bein hätte beim Aufsetzen eine weniger gebeugte Haltung gehabt. Die gebeugte Stellung des rechten Beines in Kombination mit dem hängenden Vorderfuß zeigt für die Seitwärtskräfte, die mit dem Körpergewicht im nächsten Moment auf den Fuß einwirken werden, eine denkbar ungünstige Instabilität:


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Ab diesem Zeitpunkt ist das, was nun folgt, eine zwingende Notwendigkeit:


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Zverev Verletzung

Quelle: AFP / Tomas Stevens

Dieses Pressefoto ist faszinierend, weil wir Zverev noch in einem Zustand sehen, wo der Schmerz in seinem Gehirn noch nicht entstanden ist - er schaut konzentriert dem Ball hinterher, während bei uns Betrachtern ein Mitgefühl für das entsteht, was Zverev im nächsten Augenblick widerfährt.

Oben wurde erwähnt, dass die fehlende Körperspannung im Fuß den Fuß hängen ließ und in Kombination mit dem gebeugten Bein zu einer Instabilität führte. Was einerseits Ursache für das Unglück ist, ist zugleich Voraussetzung für das, was wir Glück im Unglück nennen. Denn wegen der Beugung im Bein, hat Zverev "nur" drei Bänderrisse erlitten und nicht noch einen komplizierten Bruch.

Die ersten drei Bilder der folgenden Bilderreihe zeigen, wie der Fuß einen kurzen Moment zurückschnallt, als die Bänder reißen - das wäre bei gestrecktem Bein nicht möglich gewesen. Danach fällt Zverev aufgrund der Beugung des Beines mit relativ geringer Belastung für den Fuß auf den Boden.


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Hier die drei Bilder mit Fokus auf den rechten Fuß:


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Die Ferse bewegt sich ein bisschen nach innen - das ist der Moment des dreifachen Bänderrisses. Und hier von vorn (leider sehr unscharf):


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Danach folgt die Fallbewegung, bei der der Unterschenkel am Ende auf dem Boden aufliegt.


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Unsere Aufmerkamkeit
sollte also nicht nur auf den Ball und den Schlägerkopf gerichtet sein, sondern stets auch auf unsere Füße.

Übrigens erlitt Andrea Petkovic zehn Jahre vor Zverev ein ähnliches Unglück, einen doppelten Bänderriss - und das, nachdem sie zuvor eine lange Verletzungspause hinter sich hatte und nun zu einem Comeback ansetzte.

Sehr hilfreich und verletzungsvorbeugend ist folgender Tipp zum richtigen Rutschen auf Sand:

 


Wer sich grundsätzlich mit dem Thema Vorbeugung befassen möchte, dem sei folgendes Buch empfohlen (beim Klick auf das Bild geht's zur Buchbeschreibung):

Tennis-Verletzungen